Zwischen Ruinen
May 1849 - Friedrich Martin Bodenstedt

Ach wandle zwischen alten Burgruinen Roth von der Abendsonne Glut beschienen, Die weitum noch auf Wald- und Berghöh’n funkelt, Derweil es unten in der Schlucht schon dunkelt.

Dort eben pfeilschnell schoß ein Habicht nieder — Ich sah ihn vorhin hoch die Flügel breiten, Nach Raub ausspähend — wie in alten Zeiten Die Ritter dieser Burg — da steigt er wieder Empor mit seiner Beute, und verschwindet Fern, wo der Bergwald um die Schlucht sich windet.

Ich klimme aufwärts über das Gemäuer, Da sproßt durch morsch Gebröckel frisches Grün, Und Blumen sprossen aus den Mauerritzen So glühend roth, als wollten sie das Feuer Des Abendroths erneu’n in ihrem Blühn. Noch spielt es auf der schlanken Föhren Spitzen Zum Abschiedsgruß, und schon im Silberkahn Wiegt sich der Mond im Himmelsocean, Der Welt zu leuchten wenn der Tag vollbracht.

Wie feierlich und friedlich naht die Nacht! Kein Lüftchen regt der Bäume Wipfel — still Ruht Alles wie im Schlummer schon. Ich will Nun heimwärts meine Schritte lenken, doch Mit Geisterhänden bannt mich’s immer noch An diese Mauern, die ein grün Geranke Umspinnt, wie jetzt mein grübelnder Gedanke.

Wo sind nun die Geschlechter die hier hausten Bei Schwertgeklirr und schäumendem Pokale? Wie viel Jahrhunderte vorüberbrausten, Die Mauern stehn noch dort vom Rittersaale, Und auch vom Frauengemach und Burgverließ: Doch der die starken Mauern gründen hieß, Wo ist er, und wo sind die nach ihm kamen? Verweht zu Staub, verschollen selbst die Namen!

Von Staube kommt der Stein und wird zu Staube Gleichwie der Mensch, und wird der Zeit zum Raube Gleichwie der Mensch. Doch fügt sich Stein an Stein Im Mauerwerk durch Menschenhand allein Zu festem Bau. Und dennoch überdauern Den Menschen die von ihm gefügten Mauern, Als wäre mehr der Topf werth als der Töpfer, Und das Geschaffne stärker als der Schöpfer.

Doch nur aus Steinen die des Menschen Odem Und Geist belebt hat, haucht geweihter Brodem. Ein Zauber webt um den verlass’nen Ort Wo Menschen wohnten, und wirkt mächtig fort.

Es eilt der Mensch in unruhvoller Hast Durch diese Welt von Staub zur Grabesrast. Das ihm zur Leuchte dient, das Licht im Hirne, Erkennt und mißt die Bahnen der Gestirne: Die eig’ne Bahn nur kann es nicht erkennen, Und als des Lebens Ziel den Tod nur nennen.

Es kommt ein Tag: das Licht wird ausgeblasen Und seine Hülle deckt der feuchte Rasen. Woher? wohin? wozu? Du fragst vergebens: Der Tod erst löst die Räthsel dieses Lebens. Leb' mit Dir selbst und mit der Welt in Frieden, Und frage nicht was jenseits Dir beschieden!