Deutsche Dichtung

Fliegergedicht - Jun 1926 - Robert Werner Schulte

Wir träumen den uralten, seltsamen Traum:
mit Flügeln am Arm in unendlichem Raum…
die Sehnsucht ist groß, und wir möchten so gern
zur Sonne so weit, zu den Sternen so fern.

Zwischen Ruinen - May 1849 - Friedrich Martin Bodenstedt

Ach wandle zwischen alten Burgruinen
Roth von der Abendsonne Glut beschienen,
Die weitum noch auf Wald- und Berghöh’n funkelt,
Derweil es unten in der Schlucht schon dunkelt.

Vor Ruinen - May 1849 - Adolf Böttger

Glorreicher Anblick, wo aus der Zerstörung,
Wo über Tempelschutt und Säulenknauf,
Gestürzt vom Sturm der Zeit und der Empörung
Das Leben blüht im vollsten Zauber auf,
Wo aus dem Moder grüne Halme schießen
Und aus Ruinen junge Rosen sprießen.
Gleich jenen Trümmern liegt auch das Geschlecht,
Das drin gelebt, geliebelt und gezecht;
Doch starb der Mensch auch, blieb die Menschheit doch,
Sie grünt auf ihrer Eltern Gräbern noch
Als ein ermahnend Denkmal künftger Zeit,
Daß Alles der Vergänglichkeit gewecht.

Traum - May 1849 - Adolf Böttger

Jüngst hielt ein wunderlieblich’ Traumgesicht
Mit stillem Ernst die Seele mir umsponnen,
Ich schalt erwacht das helle Tageslicht,
Vor dem so rasch der süße Traum zerronnen.

Mahnung - May 1849 - Friedrich Martin Bodenstedt

Seh’ ich der Völker wechselnde Geschicke,
Der großen Reiche Auf- und Niedergang
Vorüberzieh’n an meinem innern Blicke
In mächt’gem Werdens- und Zerstörungsdrang,
So ist’s als säh’ ich sich die Meerflut thürmen
Zu Wogenbergen, die weitschimmernd nahn,
So rasch erhoben von gewalt’gen Stürmen,
Wie rasch zerstoben auf der schwanken Bahn.

In einem Schlussstein - May 1849 - Adolf Böttger

Sohn einer Zeit, die unsre Zeit nicht kennt,
Entfaltest Du dies graue Pergament,
Ist von der Hand, die diesen Spruch geschrieben,
Vielleicht noch kaum ein flücht‘ger Staub geblieben.
Das Haupt, das nach Unsterblichkeit getrachtet,
Ging namenlos dahin und unbeachtet.
Das Schicksal dessen, der Dir dieses weiht,
Ermahne Dich an eigne Sterblichkeit.
Genieß das Leben, wie der Schreiber dieses,
So nur erlangst Du Glück des Paradieses.
Sei mit den Guten gut, mit Frohen froh,
Bis Dir der Hauch des Erdenlebens floh.
Wenn Dich mein wohlgemeinter Spruch nicht wundert,
Sind Brüder wir, aus zweierlei Jahrhundert:
Wo meine Hand lag, fass des Blattes Rände
So reichen wir uns brüderlich die Hände!

Erneuerung - May 1849 - Friedrich Martin Bodenstedt

Nach langen, schweren Winterträumen
Die mich bedrückt wie Schnee und Eis die Flur,
Froh wandl’ ich wieder unter Blütenbäumen
Und fühle mich erneut wie die Natur.
Wohl bringt sie mir nicht wieder was sie raubte,
Wie diesem Wald, dem sie mit rauher Hand
Das Kleid vom Leib, die Krone riß vom Haupte,
Daß er im Eissturm nackt und zitterud stand,
Und ihn mm schöner schmückte als zuvor: -
Verloren bleibt, was ich durch sie verlor,
Auf immer, doch nach Anßen nur: im Innern
Ließ Alles mir ein leuchtendes Erinnern
Was Schönes mir auf rauhem Pfad begegnet,
Und jede gute Stunde ward gesegnet.

Das neue Reich - May 1849 - Friedrich Martin Bodenstedt

Vollendet steht — Dank unsern Schlachtgewinnern —
Und festgegründet schaut in Herrlichkeit
Das Reich nach außen friedlich, — doch im Innern
Weckt neu von Rom geschürter Glaubensstreit
An finstre Zeit ein mahnendes Erinnern.
Wohl ragt der Baum der Einheit hoch und weit,
Und wetterfest, wie sehr der Sturm auch wüthe,
Doch schmückt ihn noch kein Laub und keine Blüte.

Beobachtung - May 1849 - Friedrich Martin Bodenstedt

Seh’ ich das wüste Treiben dieser Tage,
Wo alles Höchste auf den Kopf gestellt,
Und auf der Zeitgunst trügerischer Wage
Rasch die Verblendung steigt, die Wahrheit fällt,
So schüttl’ ich traurig oft das Haupt und frage:
Giebt’s wirklich einen Fortschritt in der Welt?
Nicht solchen mein’ ich, der durch Draht und Schienen
Die Zeit abkürzt, gemeinem Zweck zu dienen.

Es sehnt sich ewig dieser Geist ins Weite - May 1837 - Graf von Platten

Es sehnt sich ewig dieser Geist ins Weite,
Und möchte fürder, immer fürder streben:
Nie könnt ich lang an einer Scholle kleben,
Und hätt ein Eden ich an jeder Seite.
Mein Geist, bewegt von innerlichem Streite,
Empfand so sehr in diesem kurzen Leben,
Wie leicht es ist, die Heimat aufzugeben,
Allein wie schwer, zu finden eine zweite.
Doch wer aus voller Seele haßt das Schlechte,
Auch aus der Heimat wird es ihn verjagen,
Wenn dort verehrt es wird vom Volk der Knechte.
Weit klüger ist’s, dem Vaterland entsagen,
Als unter einem kindischen Geschlechte
Das Joch des blinden Pöbelhasses tragen.

Wer wußte je das Leben recht zu fassen - Feb 1826 - Graf von Platten

Wer wußte je das Leben recht zu fassen,
Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?

Sophokles - Feb 1826 - Graf von Platten

Dir ist’s, o frommer Sophokles, gelungen,
Den Punkt zu schaun, wo Mensch und Gott sich scheidet,
Und was in ird’sche Worte du gekleidet,
Das ward, vom Himmel aus, dir vorgesungen!

Das neue Reich - Jun 1800 - Friedrich Schiller

Aus dem schauspiel Maria Stuart

Die Könige sind nur Sklaven ihres Standes,
Dem eignen Herzen dürfen sie nicht folgen.
Mein Wunsch wars immer, unvermählt zu sterben,
Und meinen Ruhm hätt ich darein gesetzt,
Daß man dereinst auf meinem Grabstein läse:
»Hier ruht die jungfräuliche Königin.«
Doch meine Untertanen wollens nicht,
Sie denken jetzt schon fleißig an die Zeit,
Wo ich dahinsein werde – Nicht genug,
Daß jetzt der Segen dieses Land beglückt,
Auch ihrem künftgen Wohl soll ich mich opfern,
Auch meine jungfräuliche Freiheit soll ich,
Mein höchstes Gut, hingeben für mein Volk,
Und der Gebieter wird mir aufgedrungen.
Er zeigt mir dadurch an, daß ich ihm nur
Ein Weib bin, und ich meinte doch, regiert
Zu haben, wie ein Mann und wie ein König.
Wohl weiß ich, daß man Gott nicht dient, wenn man
Die Ordnung der Natur verläßt, und Lob
Verdienen sie, die vor mir hier gewaltet,
Daß sie die Klöster aufgetan, und tausend
Schlachtopfer einer falschverstandnen Andacht
Den Pflichten der Natur zurückgegeben.
Doch eine Königin, die ihre Tage
Nicht ungenützt in müßiger Beschauung
Verbringt, die unverdrossen, unermüdet,
Die schwerste aller Pflichten übt, die sollte
Von dem Naturzweck ausgenommen sein,
Der eine Hälfte des Geschlechts der Menschen
Der andern unterwürfig macht

Elegie geschrieben in einem Landkirchhof - May 1750 - Thomas Gray

Übersetzung von Elegy Written in a Country Churchyard

Die Abendglocke grüßt den Tag zum Gottbefohlen,
das Herdenvieh zieht blökend übers Weideland,
der Landmann kehrt ermüdet heim auf schweren Sohlen
und lässt die Welt nun mir und in der Schatten Hand.

Ich sah in meinem Schlaf ein Bild gleich einem Gott - May 1641 - Georg Rudolf Weckherlin

Ich sah in meinem Schlaf ein Bild gleich einem Gott,
Auf einen reichen Thron ganz prächtiglich erhaben,
Auf dessen Dienst und Schutz, zugleich aus Lust und Not,
Sich die törichte Leut stets haufenweis begaben.
Ich sah, wie dieses Bild, dem wahren Gott zu Spott,
Empfing - zwar niemal satt - Gelübd, Lob, Opfergaben
Und gab auch wem es wollt das Leben und den Tod
Und pflag sich mit Rach, Straf und Bosheit zu erlaben.